Das ist eine Kopfsache - Dr. Jrgen Huber ber 11FREUNDE

November 2024 · 6 minute read

Dr. Huber, Sie haben das Kreuz­band von Hof­fen­heims Tor­jäger Vedad Ibi­sevic geflickt. Mit einer von Ihnen mit­ent­wi­ckelten Methode. Erklären Sie uns medi­zi­ni­schen Laien diesen Vor­gang.

Das Prinzip ist ein­fach und alt: man nimmt eine kör­per­ei­gene Sehne zum Ersatz des vor­deren Kreuz­bandes. Bis Mitte der 90er-Jahre hat man das mitt­lere Patel­la­sehnen-Drittel dafür genutzt. Das ist sehr schön stabil. Ste­adman (Richard Ste­adman, Anm. d. A.) hat das bei den Profis rei­hen­weise ein­ge­baut. Wichtig: das ist eine Stre­cker­sehne, die unter­halb der Knie­scheibe, zwi­schen Knie­scheibe und Schien­bein liegt. Die hat man damals, wie gesagt, bis Mitte der 90er Jahre ein­ge­baut, das wurde damals als Gold-Stan­dard bezeichnet. Mit der Zeit wurde diese Methode durch den Ein­satz der Knie­beuge-Sehnen zuneh­mend ver­drängt. Und zwar nicht, weil das Stre­cker-Band nicht stabil war, son­dern weil die Pati­enten schwer drauf knien konnten und teil­weise in dem Ent­nah­me­ge­biet Schmerzen ent­wi­ckelten. Das war der Grund dafür, das Liga­mentum Patellae, also das Stan­dard-Ver­fahren, zu ändern.

Haben sich die Pati­enten dar­über beschwert?
Ja, weil etliche Men­schen nach diesen Ope­ra­tionen Schmerzen hatten. Ein erheb­li­cher Pro­zent­satz.

Pro­mi­nente Bei­spiele?

Lothar Mat­thäus ist damit behan­delt worden, ach Gott, viele Fuß­baller der 80-er und 90-er Jahre, alle haben dieses Liga­mentum Patellae bekommen. Heute macht das noch Boe­nisch (Dr. med. Ulrich Boe­nisch, Anm. d. A.) aus Augs­burg. Er ist ein Schüler von Ste­adman und ver­wendet noch Schrauben zur Befes­ti­gung. Mitte der 90er Jahre sind viele wach geworden durch die Beschwerden der Pati­enten. Danach sind viele Ope­ra­teure dazu über­ge­gangen als Ersatz Knie­beu­ge­sehnen zu nehmen. Nicht nur, dass die das Knie beugen, es sind auch Schutz­mus­keln für das vor­dere Kreuz­band.

Wo finde ich die Knie­beu­ge­sehne?

An der Rück­seite des Ober­schen­kels und zwar an der Rück- und Innen­seite. Es ist so, dass von fünf zur Ver­fü­gung ste­henden Sehnen an der Rück­seite des Ober­schen­kels zwei Stück – und zwar zwei, die für die Innen­ro­ta­tion des Unter­schen­kels ver­ant­wort­lich sind ver­wendet werden. Das ist heute das übliche Ver­fahren.

Das von Ihnen neu ent­wi­ckelte?

Nein, das ist das übliche Stan­dard­ver­fahren. Ich wollte Ihnen nur erklären, was es mit den Knie­beu­ge­sehnen auf sich hat. Die Beu­ge­sehnen werden des­halb von uns nur bei Kin­dern mit offenen Wachs­tums­fugen oder bei Revi­sionen genommen, weil wir die Schutz­mus­ku­latur des vor­deren Kreuz­bandes nicht schwä­chen wollen.

Das heißt: wenn man mit der Stan­dard-Methode behan­delt wird, läuft man Gefahr, dass man sich relativ bald wieder am Kreuz­band ver­letzt?

So kann man es nicht sagen. Sta­tis­tisch ist das wahr­schein­lich nicht zu beweisen. Ich denke nur, dass die Schutz­mus­ku­latur sinn­voll ist und sie nicht unnötig schwä­chen sollte. Dass die Innen­ro­ta­ti­ons­kraft von dem Unter­schenkel wahr­schein­lich auch etwas nach­lässt. Zumin­dest die Fein­ko­or­di­na­tion vom Unter­schenkel.

Wie sieht dann Ihre Methode aus?

Wir nehmen eine Stre­cker­sehne, wie das Liga­mentum Patellae, das unter­halb der Kniesscheibe liegt. Nur nehmen wir es von ober­halb der Knie­scheibe. Das ist die so genannte Qua­dri­zeps­sehne.

Also aus dem Ober­schenkel?

Ganz genau. Da haben Springstup und ich als betreu­ender Arzt Anfang 2000 eine Dok­tor­ar­beit drüber gemacht, in der wir die erste Methode – also den Gold-Stan­dard mit dem Liga­mentum Patellae – und die Methode mit der Qua­dri­zeps­sehne ver­gli­chen haben. Dabei ist her­aus­ge­kommen, dass die Qua­dri­zeps­sehne genauso stabil ist, wie das Liga­mentum Patellae, aber diese neue Methode die ganze Ent­nahme-Pro­ble­matik nicht hat. Weil die Qua­dri­zeps­sehne wesent­lich breiter und auch dicker ist und ober­halb des Knie­ge­lenkes liegt.

Wie muss man sich die OP im Ein­zelnen vor­stellen?

Man nimmt einen Teil der Ober­schen­kel­sehne von fünf Zen­ti­meter Länge und einem Zen­ti­meter Breite sowie einen 2cm langen Kno­chen­block aus dem oberen Knie­schei­benpol und ersetzt damit das Kreuz­band. Das hat keine Folgen für die Ober­schen­kel­sehne, die ist ja sehr breit. Da treten nur extrem selten Pro­bleme beim Kraft­trai­ning auf. Das Liga­mentum Patellae war da wesent­lich anfäl­liger.

Das heißt: die Fol­ge­schmerzen sind damit aus­ge­schlossen?

Richtig. Die Pati­enten können wieder schmerz­frei knien, haben beim Kraft­trai­ning kaum je Pro­bleme und sind damit quasi weniger behin­dert.

Welche Leis­tung haben Sie kon­kret erbracht?

Ich habe dieses Ver­fahren mit der Qua­dri­zeps­sehne, wel­ches schon der Schweizer Stäubli beschrieben hat zu einem Ver­fahren ver­än­dert, für das man kei­nerlei Schrauben braucht. Das ist ein so genanntes Pressfit-Ver­fahren und dafür habe ich zusammen mit einer Fach­firma die ent­spre­chenden Instru­men­ta­rien, die bereits auf dem Markt waren, ein biss­chen modi­fi­ziert und habe damit also dieses Pressfit-Ver­fahren für die Qua­dri­zeps­sehne ent­wi­ckelt. 1996 habe ich damit ange­fangen und inzwi­schen sind wir hier in Hei­del­berg eine Gruppe von fünf Ope­ra­teuren, die mit dieser Methode arbeiten. Ich sage nicht, dass diese Methode das Non­plus­ultra ist, son­dern eine extrem gute Alter­na­tive zur Behand­lung mit der Knie­beu­ge­sehne. Das Ergebnis ist ein sicheres und sehr schön sta­biles Knie­ge­lenk. In unseren Händen, so, wie wir es machen, ist das eine ganz zuver­läs­sige Methode das Gelenk stabil wieder hin zu bekommen. 4000 Pati­enten sind bis­lang von uns so ope­riert und behan­delt worden. Und dar­unter waren etliche Leis­tungs­sportler.

Wie Hof­fen­heims Stümer Vedad Ibi­sevic.

Wie Ibi­sevic. Natür­lich auch andere, weniger bekannte Fuß­baller aus der Region. Bas­ket­baller waren da und vor allem Hand­baller, wie Oleg Velyky. Die Rhein-Neckar-Löwen haben wir über lange Zeit betreut. Also: da sind schon einige zusammen gekommen.

Ibi­sevic war also schon Ihre pro­mi­nen­tester »Kunde«?

Einen pro­mi­nen­teren kann man aktuell gar nicht ope­rieren (lacht).

Ibi­sevic soll diese Woche schon wieder ohne Krü­cken gehen können, Leis­tungs­sportler sind inner­halb weniger Monate wieder fit. Woran liegt das?

Es hängt natür­lich immer von dem Pati­enten ab. Von seinem Knie­ge­lenk, von der Ope­ra­tion: man kann nicht sagen, dass der Hoch­leis­tungs­sportler schneller wieder sport­fähig ist. Das Kreuz­band braucht, um stabil wieder ein­zu­heilen, fünf bis sechs Monate. Kraft und Koor­di­na­tion brau­chen auch so lange. Natür­lich hat ein Leis­tungs­sportler Vor­teile durch Inten­siv­be­treuung, und er wird, wenn der Arzt bestä­tigt, dass das Kreuz­band wieder ein­ge­heilt ist, sicher­lich schneller Kraft und Koor­di­na­tion auf­bauen. Aber: beide, Leis­tungs- und Ama­teur­sportler, brau­chen fünf bis sechs Monate um wieder sport­fähig zu werden. Das Kreuz­band heilt ja nicht schneller, nur weil jemand schneller und länger laufen kann.

Benö­tigen die Sportler auch psy­chi­sche Betreuung in der langen Ver­let­zungs­pause?

Sicher, aber wie das genau aus­sieht, kann ich ihnen leider nicht sagen. Ein Sportler muss erst wieder das Ver­trauen in sein Knie, in sein Gelenk, in seine Sehne zurück gewinnen. Das ist eine Kopf­sache, weil der Sportler manchmal selber nicht genau weiß, warum ihm das Band eigent­lich abge­rissen ist. Wie bei Ibi­sevic: das war irgend­eine Dre­hung, das war ja kein spek­ta­ku­lärer Sturz oder ein bra­chiales Foul des Gegen­spie­lers.

Wann geben Sie als behan­delnder Arzt grünes Licht, wann darf der Fuß­ball­spieler wieder Fuß­ball spielen?

Der Patient wird noch­mals einer Kern­spin­to­mog­rahie unter­zogen, ein Mess­gerät unter­sucht die Belast­bar­keit. Wir stehen ja auch dau­er­haft mit den Phy­sio­the­ra­peuten in Kon­takt. Wie sagen einem Spieler schon recht­zeitig, wenn er wieder gegen den Ball treten kann.

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