Er ist ein unfertiger Mensch

November 2024 · 6 minute read

Mat­thäus´ ehe­ma­liger Trainer Ottmar Hitz­feld meinte einst, dass die erste Trai­ner­sta­tion von ele­men­tarer Wich­tig­keit für die wei­tere Kar­riere sei. Hin­ter­lasse ein Trainer dort keine gute Note, habe das mit­unter schwere Aus­wir­kungen auf den Ver­lauf der wei­teren Lauf­bahn.

Bei SK Rapid Wien in Öster­reich meinte Mat­thäus einen adäquaten Verein für den Beginn seiner Trai­ner­kar­riere gefunden zu haben. Auch die Rapid-Ver­ant­wort­li­chen schätzten sich im Sep­tember 2001 nach einem beschei­denen Sai­son­start überaus glück­lich, die her­aus­ra­gende deut­sche Spie­ler­per­sön­lich­keit der 80er und 90er Jahre als Nach­folger des bis­he­rigen Chef­coa­ches Peter Per­sidis prä­sen­tieren zu können. Mat­thäus war durchaus ambi­tio­niert. Auf seiner ersten Pres­se­kon­fe­renz in Wien ließ er ver­lauten, die Spieler dürften ihn duzen, wenn Rapid die Cham­pions League gewonnen habe.

Doch spä­tes­tens am Sai­son­ende hatte sich die Ein­stel­lung der Ver­eins­füh­rung gegen­über Mat­thäus umge­kehrt. Statt des Mini­mal­ziels UEFA-Cup erreichte Rapid am Sai­son­ende in der nur zehn Mann­schaften umfas­senden öster­rei­chi­schen Liga ledig­lich den achten Rang. Das bedeu­tete für den Tra­di­ti­ons­klub die schlech­teste Plat­zie­rung der Ver­eins­ge­schichte.

Doch dem zwei­ma­ligen Welt­fuß­baller des Jahres fehlte in Wien nicht nur sport­li­ches Geschick, auch abseits des Platzes hatte er wie­der­holt Ärger und offen­sicht­lich auch keinen guten Draht zu seiner Mann­schaft. Die Schuld am schlechten Abschneiden schob Mat­thäus den Ver­eins­oberen zu. So bezeich­nete er Rapid Wien als Schlan­gen­grube“, schlimmer als der FC Bayern, und den Rapid-Prä­si­denten Rudolf Edlinger nannte er indi­rekt einen Lügner.

Die Wiener Ver­ant­wort­li­chen waren empört über der­ar­tige Aus­füh­rungen, doch ins­ge­heim kamen ihnen diese sogar gelegen, hatten sie doch nun einen trif­tigen Grund, ihrem in Ungnade gefal­lenen Trainer in Folge der ver­eins­schä­di­gender Aus­sagen“ fristlos zu kün­digen. Edlinger kon­terte Mat­thäus Ver­eins­kritik mit den Worten für seine 41 Jahre ist er ein unfer­tiger Mensch“, und nach Aus­sage des Rapid-Tor­warts Ladislav Meier habe jeder im Verein – von der Putz­frau ange­fangen – auf­ge­at­metet, als Mat­thäus gegangen sei. Ferner gab er an, ihr Trainer habe immer im Mit­tel­punkt stehen wollen, sei an keinem Mikrofon vor­bei­ge­gangen, und es habe nichts Lang­wei­li­geres als sein Trai­ning gegeben. Zu allem Über­fluss folgte nach seine Ent­las­sung ein mona­te­langer Rechts­streit zwi­schen Mat­thäus und Rapid. Der zwei­ma­lige Welt­fuß­baller des Jahres klagte erst auf Wie­der­ein­stel­lung (er wollte die erfolg­reiche Trai­ner­tä­tig­keit fort­führen“) und anschlie­ßend auf noch aus­ste­hende Gehälter.

Unterm Strich war das Trai­ner­debüt des Kapi­täns der deut­schen Welt­meis­ter­mann­schaft von 1990 gründ­lich miss­lungen. Doch der Name Lothar Mat­thäus war trotzdem noch eine Marke im Welt­fuß­ball. So tat sich für ihn in Ser­bien schon bald die nächste Chance auf.

Dort trat Mat­thäus nach einem halben Jahr Arbeits­lo­sig­keit im Dezember 2002 bei FK Par­tizan Bel­grad die Nach­folge des zurück­ge­tre­tenen Trai­ners Lju­bisa Tum­ba­kovic an. Bel­grad war zu diesem Zeit­punkt mit sechs Punkten Vor­sprung Tabel­len­führer. Das bedeu­tete einer­seits gute sport­liche Start­be­din­gungen, ande­rer­seits jedoch auch großen Druck, den Vor­sprung ins Ziel zu bringen, sprich die Meis­ter­schaft ein­zu­fahren. Das gelang Mat­thäus auch, mit großem Punk­te­polster aus­ge­stattet führte er Bel­grad sou­verän zur Meis­ter­schaft, was für Par­tizan das Errei­chen der Cham­pions League-Qua­li­fi­ka­tion bedeu­tete.

Ein Inter­view mit der Bild-Zei­tung ließ jedoch erahnen, dass Mat­thäus trotz seines ersten Titel­ge­winns in dem Bal­kan­staat nicht gänz­lich zufrieden war. Sein eigent­li­ches Bestreben war eine Trai­ner­tä­tig­keit in der Bun­des­liga. In dem Inter­view brachte er sich selbst als Trainer bei Schalke 04 ins Gespräch, als die Knappen auf der Suche nach einem Nach­folger für Inte­rims­coach Marc Wil­mots waren („Schalke würde mich jeder­zeit reizen“). Doch durch seine Ange­wohn­heit, sich den Bun­des­li­ga­ver­einen via BILD-Zei­tung unter­schiedslos und per­ma­nent an den Hals zu werfen, sowie seine jahr­zehn­te­lange Koope­ra­tion mit dem Mas­sen­blatt an sich hat sich Mat­thäus für die Bun­des­li­ga­klubs fast aus­nahmslos untragbar gemacht hat.

So ent­schieden sich denn auch die Königs­blauen gegen ihn und für Jupp Heyn­ckes, und Mat­thäus blieb in Ser­bien. Dort qua­li­fi­zierte er sich zu Sai­son­be­ginn mit seinen Mannen über­aschend für die Cham­pions League, das lang ersehnte Ziel der Par­tizan-Ver­ant­wort­li­chen war erreicht. In der Vor­runde reichte es jedoch nur zu drei Unent­schieden.

Im Dezember 2003, sechs Monate vor Ver­trags­ende, kün­digte Mat­thäus seinen Kon­trakt mit Bel­grad auf und war fortan Natio­nal­trainer Ungarns. Über seine Beweg­gründe für den Wechsel kann nur spe­ku­liert werden. Mit den Par­tizan-Ver­ant­wort­li­chen gab es wohl Mei­nungs­ver­schie­den­heiten über die Ver­wen­dung der Ein­nahmen aus der Cham­pions League. Viel­leicht lag es auch an seiner neuen Ehe­frau Mari­jana Kostic, die zu jener Zeit in der unga­ri­schen Haupt­stadt Buda­pest lebte. Sicher mag für Mat­thäus auch der Gedanke reiz­voll gewesen sein, mit der unga­ri­schen Mann­schaft an der WM 2006 in Deutsch­land teil­zu­nehmen. Doch in der Qua­li­fi­ka­ti­ons­gruppe mit Kroa­tien, Schweden und Bul­ga­rien zeich­nete sich schnell ab, dass Ungarn sein Ziel weit ver­fehlen würde. Mat­thäus größter Erfolg war ein Sieg in einem Freund­schafts­spiel: Anläss­lich des 50jährigen Jubi­läums des WM-Finales von 1954 kam es in Kai­sers­lau­tern zu der Begeg­nung zwi­schen Deutsch­land und Ungarn, welche die Gäste mit 2:0 gewinnen konnten. Doch nach zwei ins­ge­samt mäßig erfolg­rei­chen Jahren endete mit Jah­res­ende auch Mat­thäus´ Enga­ge­ment bei den Magyaren.

Zu dieser Zeit war der Franke in Nürn­berg nach der Ent­las­sung von Trainer Wolf­gang Wolf für Club-Prä­si­dent Roth der poten­ti­elle Nach­fol­ge­kan­didat Nr. 1 – und, wie der BILD-Zei­tung zu ent­nehmen war, alles andere als abge­neigt. Doch es kam anders, nicht zuletzt wegen hef­tiger Pro­teste sei­tens der Club-Fans. Statt in Nürn­berg heu­erte Mat­thäus zum 1. Februar 2006 als erster Euro­päer über­haupt als Trainer bei einem bra­si­lia­ni­schen Spit­zen­klub, dem Erst­li­gisten Atlé­tico Par­an­aense, an. Doch mit diesem Enga­ge­ment rückte sein eigent­li­ches Ziel, Chef­coach in der Bun­des­liga zu sein, nicht nur in räum­li­cher Hin­sicht in weite Ferne. Es sollte eine Zwi­schen­sta­tion und eine Lern­phase“ sein, doch es geriet zu einer Posse. Bei seiner Ankunft von den Fans als Held gefeiert, schlich Mat­thäus nur sechs Wochen später, wie ein Dritt­klässer auf Klas­sen­fahrt von hef­tigem Heimweh nach seiner Familie geplagt, wieder von dannen. In der Zwi­schen­zeit ver­ur­teilte ihn der Bra­si­lia­ni­sche Fuß­ball­ver­band noch zu einer 30tägigen Sperre, nachdem er einen Schieds­richter als arro­gant“ bezeichnet hatte. Auch wenn Par­an­aense unter Mat­thäus sechs von acht Par­tien gewann, hätte das Aben­teuer Bra­si­lien für ihn unterm Strich nicht unglück­li­cher ver­laufen können. Seinem ohnehin dürf­tigen Image war es in jedem Fall nicht zuträg­lich.

Für deut­sche Ver­eine blieb ein Lothar Mat­thäus nach dem Bra­si­lien-Enga­ge­ment mehr denn je tabu. Doch nicht so in der Alpen­re­pu­blik, in der seine Trai­ner­kar­riere begann. Salz­burg, der ambi­tio­nierte und von Red Bull gespon­serte Verein, schien bei der Ver­pflich­tung jedoch nicht voll­ends von Mat­thäus Trai­ner­fä­hig­keiten über­zeugt gewesen zu sein, und so instal­lierte der Verein Gio­vanni Tra­pat­toni als offi­ziell zwar gleich­be­rech­tigten doch de facto über­ge­ord­neten Team­chef. Für das Alpha­tier Mat­thäus konnte es kein Dau­er­zu­stand sein, nur die Nummer Zwei zu sein. Im spä­teren Sai­son­ver­lauf kam es mit dem Maestro zu Aus­ein­an­der­set­zungen. Auf Grund von unter­schied­li­cher Auf­fas­sungen im sport­li­chen Bereich“ wurde ihm kurz nach Sai­son­ende im Juni 2007 gekün­digt.

Die Hitzfeld´sche Theorie, dass die erste Trai­ner­sta­tion über Wohl und Wehe der wei­teren Kar­riere ent­scheide, scheint sich zu bewahr­heiten. Erfolge, die explizit seinem Trai­ner­schaffen zuzu­schreiben wären, gelangen Mat­thäus bis heute nicht. Zudem betreute er ledig­lich bei seinem Enga­ge­ment als unga­ri­scher Natio­nal­trainer eine Mann­schaft länger als zwölf Monate.

Es ist doch sehr ver­wun­der­lich, dass sich sein öffent­li­ches Bild in Deutsch­land und seine Wahr­neh­mung im Aus­land unter­scheiden wie Tag und Nacht. Wäh­rend er in Deutsch­land nicht mehr als Sportler, son­dern nur noch Bou­le­vard-Figur (Borussia Banana“, RTL2) wahr­ge­nommen, aber nicht mehr ernst genommen wird, genießt er außer­halb der Lan­des­grenzen noch immer ein hohes Ansehen. Neu­esten Mel­dungen zur Folge soll der tsche­chi­sche Fuß­ball­ver­band großes Inter­esse an Mat­thäus als Nach­folger für den umstrit­tenen Natio­nal­coach Karel Brückner haben.

Durch seine Erfolge als Spieler hat er im Welt­fuß­ball noch immer einen großen Namen, so dass er auch in Zukunft eine Viel­zahl von Ange­boten bekommen wird. Sollte seine Trai­ner­kar­riere weiter so ver­laufen wie bisher, wird Lothar Mat­thäus noch viele Erfah­rungen sam­meln, er wird jedoch nur wenige Titel und noch weniger Renommee erlangen. Sein großes Ziel, einmal Chef­coach in der deut­schen Bun­des­liga zu werden, wird er aber mit einiger Wahr­schein­lich­keit nie errei­chen.

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